Aktuelles Migration und Erbe
Tagungsbericht: Grenzen und Nachbarschaften, Wanderungen und Begegnung (Karlsruhe/Straßburg, 13.-15. September 2018)
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Tagungsteilnehmer in der Hochschule Karlsruhe | Christian Raiser erläutert die Chororgel der Stadtkirche Karlsruhe |
Alexandre Kostka erklärt das Stadtbad in Straßburg |
Vom 13. bis 15.9.2018 fand in Karlsruhe und Straßburg die Tagung „Grenzen und Nachbarschaften, Wanderungen und Begegnung“ der Arbeitsgruppe Migration und Erbe des deutschen Nationalkomitees von ICOMOS in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe SAGE der Universität Straßburg und der Fakultät Architektur und Bauwesen der Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft statt.
Teilnehmer aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Polen stellten unterschiedliche Hinterlassenschaften und deren spezifische Besonderheiten in Grenzräumen vor. In seiner Begrüßung stellte der Dekan der Fakultät, Erwin Schwing, die internationalen Verbindungen der Hochschule heraus.
In seinem Abendvortrag am Donnerstag berichtete Nikolaus Bernau über die Einflüsse auf die Architektur im Baltikum, vor allem in Estland, deren unterschiedliche Bauherrschaften sich wahlweise an Vorbildern aus Russland, Finnland und Deutschland orientierten.
Die Vorträge am Freitag zeigten schlaglichtartig Beispiele aus früheren und heutigen Grenzräumen in Deutschland und seinen Nachbarländern.
Heike Eva Schlasse berichtete über eine Oderbrücke von 1930, die nach der Kriegszerstörung unter Verwendung verschiedener Stahlbrückensegmente aus anderen Orten instand gesetzt wurde. Unbenutzt wurde sie für den Krisenfall durch den Warschauer Vertrag bis 1989 instandgehalten. Seit 2005 ist sie in die Denkmalliste des Landes Brandenburg eingetragen und wird künftig Teil eines von der EU geförderten Radweges sein.
Grazina Adamczyk-Arns führte die Zuhörer ins heutige Breslau, wo moderne innerstädtische Bauten aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg saniert worden sind. Andererseits wurden nach dem Zweiten Weltkrieg auch historisierende Bauten errichtet, um die bauliche Tradition der Stadt zu überliefern. All dies ist in dem Kontext zu sehen, dass die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg einen fast vollständigen Austausch der Bevölkerung erlebt hat.
Eva von Engelberg schilderte die Schwierigkeiten, die das dänische Königreich im 19 Jahrhundert in seinen Herzogtümern Schleswig und Holstein hatte, die bevorzugte Staatsarchitektur, einen spezifischen Klassizismus, durchzusetzen. Die Situation nördlich der deutsch-dänischen Grenze Anfang des 20 Jahrhunderts betrachtete Peter Dragsbo. In Schleswig hatte die Heimatschutzbewegung um 1910 starken Einfluss auf die Architektur. Dies setzte sich nach der Angliederung Nordschleswigs an Dänemark im Jahr 1920 fort. Weiterhin bemühten sich Dänen und Deutsche, ihren jeweils spezifischen Architekturausdruck zu finden.
Inga Mommsen brachte den Teilnehmern spielerisch nahe, wie sie mit Kindern im deutsch-dänischen Grenzraum Denkmäler erfahrbar macht.
Auf einem mittäglichen Spaziergang führte Christoph Schwarzkopf die Teilnehmer durch die Stadtmitte von Karlsruhe, die Spuren vielfältiger Impulse von außen aufweist und die er seit einigen Jahren mit Architekturstudierenden der Karlsruher Hochschule dokumentiert. Höhepunkt war die Vorstellung der Chororgel der evangelischen Stadtkirche am Marktplatz durch Kirchenmusikdirektor Christian Raiser. Die Orgel hat ein elsässischer Orgelbauer vor 15 Jahren geschaffen.
Die wechselvolle Geschichte des einzigen deutschen Soldatenfriedhofes auf niederländischem Gebiet in Ysselsteyn schilderte Christine Gundermann, einhergehend mit den verschiedenen Erinnerungskulturen, die hier manifest werden.
Grenzüberschreitungen der Eisenbahnen seit 18 43 erläuterte Klaus Weber anhand der Bahnlinien zwischen den Niederlanden und Deutschland am Niederrhein.
Martijn Kivit zeigte am Beispiel des Getreidehebers Nummer 19, dass grenzüberschreitende Denkmalpflege möglich ist. Das antriebslose Schiff trägt eine Maschine, mit der pneumatisch Getreide gefördert werden kann, um Schiffe zu be- und entladen. Seine Erhaltung wird sowohl von Rotterdam als auch von Antwerpen unterstützt, dies wechselt permanent zwischen beiden Ländern.
Zum Abschluss des ersten Tages berichtete Charlène Morel über ein französisch-deutsches GIS-Projekt, das zur Erforschung archäologischer Artefakte sowohl Daten aus Baden-Württemberg als auch aus Frankreich nutzt.
Der Samstag begann mit einem Empfang im historischen Rathaus, dem Palais Hanau-Lichtenberg in Straßburg durch den für kulturelle Fragen zuständigen Bürgermeister. Im Haus der Geisteswissenschaften der Universität Straßburg, dem MISHA, empfing Alexandre Kostka zum Mittag die Teilnehmer mit einem vorzüglichen Buffet. In seinem Vortrag beschrieb er die wechselvolle Geschichte der Architektur im elsässischen Grenzraum seit über 1000 Jahren. Angesichts der soeben erfolgten Einschreibung der Straßburger Neustadt in die Welterbeliste der UNESCO berichteten Cathy Blanc und Olivier Haegel über die Inventarisation, Bewertung und Rezeptionsgeschichte der nach der deutschen Besetzung 1871 angelegten und gebauten Neustadt in Straßburg.
Hierzu war eine Ausstellung zu sehen, die durch eine Dokumentation verschiedener Stadtbäder ergänzt wurde, die den zeitgeschichtlichen Kontext zur Errichtung des Straßburger Stadtbades von 1910 verdeutlichte. Das Stadtbad soll demnächst modernisiert werden; derzeit ist die bauzeitliche Ausstattung noch umfassend erhalten.
Anschließende Führungen ermöglichten die Besichtigung der Kirche Jung St. Peter, des Stadtbades und von Teilen der Neustadt.
Die Organisation der Tagung lag in den Händen von Sigrid Brandt (ICOMOS Deutschland), Alexandre Kostka (Universität Straßburg) und Christoph Schwarzkopf (Hochschule Karlsruhe).
Christoph Schwarzkopf
Lesen Sie hierzu auch die Abstracts und Lebensläufe der Referentinnen und Referenten.