ICOMOS.DE bezieht Stellung zur geplanten Novellierung des Denkmalschutzgesetzes NRW

In einem Schreiben an den Landtagspräsidenten von Nordrhein-Westfalen vom 22.08.2025 spricht sich ICOMOS Deutschland gegen die geplante Novellierung des Denkmalschutzgesetzes aus:

Per Email an
den Präsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen
die Fraktionen des Landtags Nordrhein-Westfalen
die Sprecherinnen und Sprecher der Landtagsfraktionen im
Ausschuss für Heimat und Kommunales
Ausschuss für Bauen, Wohnen und Digitales
Ausschuss für Kultur und Medien
 
 
                                                                                                                                                                                                                                                           Berlin, den 22.08.2025
 
Drittes Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung 2018 und weiterer
Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen
VORLAGE 18/4072
Zuleitung nach Parlamentsinformationsvereinbarung an den Präsidenten des Landtags
Nordrhein-Westfalen vom 11.07.2025
 
hier: Stellungnahme des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS e.V.

 
 
Sehr geehrter Herr Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
 
das Deutsche Nationalkomitee von ICOMOS nimmt die Möglichkeit wahr, zum vorliegenden Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung der Landesbauordnung 2018 und weiterer Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen (VORLAGE 18/4072) Stellung zu nehmen und seine Fachexpertise in das Verfahren einzubringen.
 
ICOMOS ist die internationale nichtstaatliche Organisation, die sich weltweit für Schutz und Pflege von Denkmälern und Denkmalbereichen und die Bewahrung des historischen Kulturerbes einsetzt. ICOMOS ist von der UNESCO als Berater und Gutachter des Welterbe-Komitees zur Erfüllung der Welterbe-Konvention bestellt. Nationalkomitees bestehen in mehr als 120 Ländern. Das Deutsche Nationalkomitee von ICOMOS setzt sich auf nationaler und internationaler Ebene für die Erhaltung von Denkmälern, Ensembles und Kulturlandschaften ein, berät die Fachwelt und Öffentlichkeit und fördert das öffentliche Interesse für Denkmalschutz und Denkmalpflege.
 
Mit großer Sorge nimmt ICOMOS die geplante Gesetzesnovellierung zur Kenntnis. Die geplanten Änderungen des Denkmalschutzgesetzes offenbaren, dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen das reiche kulturelle Erbe des Landes nicht als Schatz, sondern als Last begreift, von der sie sich – kaschiert durch eine Novelle zur Landesbauordnung – entledigen möchte.
 
Wenn nicht mehr die Fachlichkeit und damit die Wissenschaft entscheidet, was denkmalwürdig und erhaltenswert ist, sondern der Kämmerer, dann verabschiedet sich das Land Nordrhein-Westfalen von seinem in der Landesverfassung verbürgten Versprechen, dass die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Kultur unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände stehen. Im Einzelnen:
 
1. Herausnahme von Denkmalen aus dem Schutz des Denkmalschutzgesetzes (Artikel 2, Nummer 1)
Mit der geplanten Regelung, dass das DSchG nicht mehr für Anlagen gelten soll, die der Landes- oder Bündnisverteidigung, dem Katastrophenschutz, der Unfallhilfe oder der Abwehr sonstiger außergewöhnlicher Ereignisse zum Schutz der Bevölkerung dienen, will die Landesregierung eine große Zahl von Denkmälern dem Schutz des DSchG entziehen.
 
Bei einer Verabschiedung des vorliegenden Gesetzes können nicht nur historische Kasernen (heute teils Gedenkorte), Bunker oder Truppenübungsplätze (vielfach von archäologischem Interesse) beseitigt werden, sondern auch bisher denkmalgeschützte Krankenhäuser, Feuerwehrwachen, Polizeistationen ebenso wie Brücken, Hafenanlagen oder Bahnhöfe. Jede historische Schule, Kirche oder Schlossanlage, die im Katastrophenfall als Lazarett dienen könnte, verliert mit der gewählten Gesetzesformulierung ihren Schutzstatus.
 
Eine so weitreichende Regelung ist nicht nur unzulässig, weil sie gegen das bindende Übereinkommen zum Schutz des architektonischen Erbes Europas (Granada-Konvention) sowie die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut von 1954 verstößt; sie ist nach unserem Kenntnisstand auch verfassungswidrig. Darüber hinaus ist die geplante Regelung nicht erforderlich.
 
Zum einen bieten die zur Begründung der Gesetzesänderung angeführten Rahmenrichtlinien des Bundes für die Gesamtverteidigung (RRGV) keinerlei (!) Anlass, einen derart großen und bedeutsamen Denkmalbestand preiszugeben und den unwiederbringlichen Verlust leichtfertig in Kauf zu nehmen. Der vorliegende Entwurf enthält diesbezüglich keine Verweisung auf eine konkrete Ziffer oder Passage in den RRGV, was das Argument des Sachzwanges als vorgeschoben entlarvt. Kein anders Bundesland sieht bisher eine Veranlassung, aufgrund der RRGV, die sich im Übrigen in einem ganzen Kapitel (20.2.6) dem Schutz von Kulturgut in Friedenszeiten widmen, seinen Denkmalbestand zu schleifen.
 
Zum anderen bietet das bestehende DSchG, ebenso wie die Denkmalschutzgesetze der übrigen Länder, schon jetzt die Möglichkeit, bei Feststellen eines überwiegenden öffentlichen Interesses die Erlaubnis zur Veränderung oder Beseitigung von Denkmälern zu erteilen. Die erforderliche Bewertung des Einzelfalles und das Abwägen der widerstreitenden Interessen ist dabei sicherlich mühevoller und zeitintensiver als der pauschale Entzug des Schutzstatus. Aber dieser von unserem Grundgesetz geforderten Güterabwägung und den daraus abgeleiteten demokratischen Verfahrensregeln darf sich die Landesregierung nicht entziehen!
 
Es mutet geradezu grotesk an, dass in Zeiten, in denen die Ukraine verzweifelt für den Schutz ihres Kulturerbes kämpft, sich das Land Nordrhein-Westfalen befleißigt, eine große Zahl von Denkmalen vorsorglich aus den Denkmallisten zu streichen, um sich für den Verteidigungsfall zu wappnen.
 
2. Verordnungsermächtigung – Ansichziehen von Zuständigkeiten (Artikel 2, Nummer 2)
Mit der geplanten Änderung des § 21 Absatz 6 soll die Oberste Denkmalbehörde durch Verordnung einzelne Zuständigkeiten nach diesem Gesetz abweichend regeln, wenn eine Abweichung von der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit aus Gründen einer ausgewogenen Verteilung von Verfahren oder besonderen Sachgründen geboten ist. Sie soll selbst Zuständigkeiten nach diesem Gesetz an sich ziehen können.
 
Davon abgesehen, dass völlig unklar bleibt, für welche Fälle bzw. aufgrund welcher besonderen Sachgründe eine solche Zuständigkeitsverlagerung geboten erscheinen könnte, stellt die Regelung eine Entmachtung der vom Gesetzgeber für Belange des Denkmalschutzes bisher zuständigen (auch kommunalen) Fachbehörden dar. Die Landesregierung will sich mittels der Obersten Denkmalbehörde offenbar selbst ermächtigen, Entscheidungen im Einzelfall zu treffen, ohne Beteiligung von Eigentümern, Experten oder der interessierten Öffentlichkeit und über die für alle anderen Denkmaleigentümer geltenden Verfahren hinweg. Das sendet in der heutigen Zeit nicht nur die falschen Signale. Auch diese Regelung gefährdet durch den Ausschluss von Fachlichkeit und Wissenschaft massiv den Denkmalbestand des Landes.
 
3. Teilentzug des Antragsrechts der Landschaftsverbände (Artikel 2, Nummer 3)
Auch mit der Änderung des § 23 Abs. 4 Satz 1 des Denkmalschutzgesetzes, wonach einem Denkmalfachamt kein Antragsrecht mehr bei Liegenschaften des Landes Nordrhein-Westfalen oder des Bundes sowie Hochschulen in Trägerschaft des Landes, Universitätskliniken und Studierendenwerken zukommt, wird das kulturelle Erbe des Landes Nordrhein-Westfalen massiv gefährdet und in seiner Vielfalt beschnitten. Auch hier verfolgt die Landesregierung ganz offenbar das Ziel, denkmalwerte Anlagen, die sich in Landeseigentum befinden, einer an wissenschaftlichen Kriterien ausgerichteten Bewertung der Denkmalfachämter zu entziehen. Bauten der jüngeren Vergangenheit, deren Denkmalwert noch nicht festgestellt wurde, sollen in Zukunft allenfalls dann Denkmäler sein können, wenn es die Kassenlage und das Nutzungsinteresse der Eigentümerinnen (Bund und Land Nordrhein-Westfalen) zulassen. Damit stellt sich die Landesregierung in jeder Hinsicht ein Armutszeugnis aus!
 
Das Deutsche Nationalkomitee von ICOMOS appelliert an die Landesregierung und den Landtag von Nordrhein-Westfalen, den vorliegenden Gesetzesentwurf nicht zu verabschieden! Nehmen Sie Ihren Auftrag aus der Landesverfassung, Ihre Denkmäler zu schützen, ernst! Verhindern Sie nicht wiedergutzumachende Denkmalverluste und wenden Sie weiteren Schaden vom kulturellen Erbe des Landes Nordrhein-Westfalen ab!
 
ICOMOS bietet gerne seine Expertise und Unterstützung an, um das Denkmalschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf Landesverteidigung und Katastrophenschutz zukunftsfähig zu machen.
 
 
Mit freundlichen Grüßen
                                                                              
Dr. Tino Mager                                      Gregor Hitzfeld
Präsident                                               Generalsekretär
 
 
Deutsches Nationalkomitee von ICOMOS e.V.         X Bluesky
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